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Festrede
Volker Schmidt | 16.08.2022

 

Festrede am 16. Juli 2022

Volker Schmidt

Endlich kann gefeiert werden!

Aber ich möchte mit Ihnen meinen historisch-soziologischen Streifzug mit Überlegungen beginnen, die vielleicht überraschen.                        Schon mehrmals fiel ein Jubiläum wegen der Zeitläufte aus. 1931 sollte das zehnjährige Vereinsjubiläum bombastisch gefeiert werden. Die Weltwirtschaftskrise machte den Plan zunichte. Das viehundertjährige Schuljubiläum 1940 wurde wegen des Krieges abgesagt. Der Verein wollte dazu die Schülermatrikel präsentieren. 1946 - höchstens insgeheim mag der eine oder die andere an das 25-jährige Jubiläum gedacht haben.

Dass wir heute anders als in diesen Fällen mit einem Jahr Verzug das 100-jährige Vereinsjubiläum der Wilinaburgia feiern, liegt an Corona. Doch fehlte nicht viel, und der Krieg in der Ukraine hätte die heutige Veranstaltung gefährdet. 

Erinnern wir uns.                                                                                                                                                                                                                      1991 fiel wegen des Irakkrieges die Fastnacht aus.  Allerdings ist ein 100-jähriges Jubiläum keine Fastnachtsveranstaltung. Doch drei Jahrzehnte später folgte die nun oft zitierte „Zeitenwende“, die ich nicht näher beschreiben muss.

Kann heute trotzdem gefeiert werden? - Ich denke: Ja.

Denn gerade ein Hundertjähriges ist ein passender Anlass, nicht nur das lange Vereinsleben gebührend zu feiern, sondern zugleich dazu da, neben der unvermeidlichen Selbstfeier, eine Reflexion vor dem Hintergrund dieses Säkulums vorzunehmen.                                                            Ich hoffe, dass dabei zumindest ansatzweise eingelöst wird, was die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte bewirken sollte, nämlich aus ihr für die Gegenwart und Zukunft zu lernen. Aber Hegels Eule der Minerva, die ihren Flug erst beginnt, wenn nichts mehr zu ändern ist, macht uns zu Sisyphos. Der Fortschritt der Menscheit schlägt, immer noch der Dialektik der Aufklärung folgend, oft jählings in sein Gegenteil um.                                                                                                                                                                                                                          Nichtsdestotrotz möchte ich heute die Gelegenheit nutzen und Sie dazu einladen, am Beispiel der Wilinaburgia einmal darüber nachzudenken, warum Menschen Vereine gründen, mit den besten Absichten ihre gesteckten Ziele verfolgen und dabei die manchmal mühsame Vereinsarbeit fortsetzen und weiterentwickeln.

Das trifft für die drei Säulen zu, die für mich die Wilinaburgia ausmachen:

  • den Zusammenhalt der ehemaligen Lernenden, Lehrenden und Freunde des heute 482 Jahre alten Gymansiums,
  • die Herausgabe eines Mitteilungsblattes, das bis vor wenigen Jahren noch eine soziale Plattform war und das darüber hinaus ein Forum für schul- und regionalhistorische Studien sowie ein Spiegel des Schullebens war und ist
  • und, als dritte Säule, die vielfältige Unterstützung der Schule, zu der auch seit der Vereinsgründung die bis dahin staaatlich finanzierte Anfertigung der Direktorenporträts, die Stiftung von inzwischen drei Gedenktafeln und seit fast 25 Jahren der Fritz-Glöckner-Preis gehören. 

Den eigentlichen Streifzug möchte ich mit einem kleinen soziologischen Exkurs beginnen. Am Ende werde ich ihn aufgreifen und fortsetzen.tempora mutantur, nos et mutamur in illis.

Vereine, wie wir sie kennen, sind historisch Kinder des 19. Jahrhunderts. Der Kapitalismus löste die feudale Ordnung mit ihren Ständen und Zünften auf, die jedem seinen genauen Platz in der Gesellschaft zugewiesen hatten. Er schuf so eine Masse von Individuen, die nach neuen sozialen Orientierungspunkten suchten.                                                                                                                                                                            Nicht zufällig entstand als neue Wissenschaft die Soziologie. Max Weber forderte 1910 auf dem 1. Deutschen Soziologentag, Vereine als gesellschaftliches Strukturprinzip, als Vermittlungsort gesellschaftlicher Normen, Werte und Ideologeme und wegen ihres Führungspersonals zu untersuchen. Dabei übersah er nicht, dass Vereine einerseits entpolitisierend wirken und andererseits dennoch eine politische Wirkung erreichen.                                                                                                                                                                                                                               Unter diesem Aspekt nahm Weber - pars pro toto - den deutschen Gesangverein ins Visier. „Die Blüte des Gesangvereinswesens in Deutschland übt beträchtliche Wirkungen auch auf … poltischem Gebiete aus. Ein Mensch, der täglich gewohnt ist, gewaltige Empfindungen aus seiner Brust durch seinen Kehlkkopf herausströmen zu lassen, ohne irgendeine Beziehung zu seinem Handeln, ohne daß also die adäquate Abreaktion dieses ausgedrückten mächtigen Gefühls in entsprechend mächtigen Handlungen erfolgt  … dieser Mensch wird ein Mensch, der kurz gesagt, sehr leicht ein ‚guter Staatsbürger‘ wird, … Es ist kein Wunder, daß Monarchen eine so große Vorliebe für derartige Veranstaltungen haben. ‚Wo man singt, da laß dich ruhig nieder.‘“                                                                                                                                   Das gilt, wenn Sie z.B. an den Film „Casablanca“ denken, um so mehr, wenn die jeweils „richtigen“ Lieder gesungen werden. In Ricks Café triumphierte 1942 die „Marseillaise“ über die „Wacht am Rhein“.

Besonders für die Anfangsjahre unseres Vereins trifft Max Webers Verdikt - cum grano salis - zu. Tanzveranstaltungen und Liederabende sowie Vorträge bildeten einen festen Bestandteil des Vereinslebens, selbst mehrtägige Hauptversammlungen waren nicht ungewöhnlich. Ausflüge zum vom Verein gepachteten Wanderheim, dem „Staadenheim“ im Taunus, waren um 1930 Höhepunkte einer Geselligkeit, die nach 1945 eine kurze Blüte erlebte und in den Sechzigern langsam verschwand.

Zurück zur Geschichte

Warum musste der Vorsitzende Dr. Heinrich Schwing 1923 an die „politische Neutralität“ des Vereins erinnern?                                                       Die Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen, die Hyperinflation und eine von der Revolution träumende KPD prägten das Jahr 23 bis in den Herbst. 12 Monate zuvor hatten sich mit dem „Marsch auf Rom“ Mussolinis Faschisten an die Macht geputscht. Am 9. November 1923 versuchte Hitler in München es ihm nachzutun. Wie bekannt scheiterte dieser Versuch; ein Jahrzehnt später war es anders. Doch der Verein, der, trotz der Revolution von 1918, in der Tradition eines Gymnasiums stand, das seit 1866 als königlich preußisches Gymnasium firmierte, musste sich keine Sorgen um seine im Grunde konservative politische Grundeinstellung machen.                                       Der Oberlehrer Clemens Schwarte, ein glühender Vertreter der Weimarer Republik, und der in Strelitz unterrichtende Handelslehrer und Kommunist Franz Kaufmann, blieben unauffällige, vergessene Vereinsmitglieder. Entscheidend war, so Hartmut Tietze in seinem Aufsatz „Zur Professionalisierung des höheren Lehramts in der modernen Gesellschaft“, dass, „die bildungsbürgerliche Imperialbegeisterung und die staatstragende Rolle, die sich die Oberlehrer bei der „Führung und Leitung der organisierten Massen“ im kulturellen Leben der Vereine zuschrieben, die Vermutung nahelegen, dass sich die Oberlehrer als Gruppe mit dem herrschenden System der machtvollen deutschen Kulturnation voll identifizierten.“                                                                                                                                                                                         Diese Haltung war ihr heimliches Curriculum. Der wilhelminisch geprägte, nationale, wenn nicht sogar nationalistische und dem Militärischen verhaftete Komment konnte sich in die Weimarer Zeit hinüberretten. 

Das lag sicher auch am 1844 geborenen Professor (Oberlehrer) Richard Gropius, der einer der Gründerväter des Vereins war. Groipius war Leutnant in den „Einigungskriegen“ 1866 und 1870/71, später Hauptmann der Landwehr und dann einer von Heinrich Schwings Vorgängern als Vorsitzender des Weilburger Kriegervereins „Germania“. Und Heinrich Marxhausen, Direktor von 1913 bis 1924, tat ein Übriges.                    Pfarrer Karl Hermann May beschrieb ihn so: „Sein Weilburger Direktorat ist ausgefüllt mit den Sorgen von vier langen Jahren des Weltkrieges und mit der Schmach des Zusammenbruchs, der Novemberrevolte von 1918, den Demütigungen und würdelosen inneren Verhältnissen der Nachkriegsjahre. Der Geist der Rebellion machte nicht einmal vor den Schulen halt. …  Ein immer noch eine Klasse schmückendes Bild der Germania mit gezücktem Schwert, der immer noch nicht entfernte Sockel der Büste des letzten Kaisers, die harmlosesten Äußerungen nationalen Empfindens unter den Schülern brachten unwürdigen Lärm in die der Wissenschaft und Bildung geweihten Räume. Für mich war es schon damals ein stolzes Gefühl, daß unser Direktor aber auch gar nichts mit solchem revolutionären Unfug zu tun hatte. … Er sah seine Aufgabe darin, beste Traditionen der Vergangenheit zu wahren.“                                                                                                                       Marxhausens und Gropius’ Pädagogik trugen Früchte. Fritz Glöckners Bericht über die Unterrichtsverweigerung seiner Klasse bei der Behandlung der Weimarer Reichsverfassung durch Clemens Schwarte spricht Bände.

Lassen Sie mich noch auf zwei andere Vereine und eine Stiftung zu sprechen kommen. Alle drei bereiteten der Wilinaburgia den Weg.                Der heutige Konzertverein hatte im „Gymnasial-Musik-Verein Weilburg“ einen Vorläufer. Seine Besonderheit ist für mich nicht der Vereinszweck, sondern die Tatsache, dass die Schüler den Verein selbst führten. Das taten sie, eine Repertoire-Liste mit fast 100 Titeln zeigt es, erfolgreich. 1894 gegründet, war die Institution Verein schon vor 1921 bekannt.                                                                                                          Ganz ähnlich war der im gleichen Jahr gegründete „Stenographen Verein ‚Stolze-Schrey‘“ ogranisiert, dessen Vorsitzender 1920 Werner Herz war. Von ihm wird noch die Rede sein. Der 1901 geborene Weilburger gehörte jener Generation der um 1900 Geborenen an, die anfangs den Kern des Vereins bildeten.

Etwas ganz Besonderes hatten sich 1897 fünf Väter von Abiturienten einfallen lassen. Sie riefen mit dem Segen der Schule und des Königlichen Provinzialschulkollegiums eine Stiftung ins Leben. Die Zinsen - 4% - des angesparten Stiftungskapitals von 5000 Mark wurden in Höhe von maximal 50 Mark pro Schüler auf Vorschlag des Kollegiums an bedürftige und würdige Schüler der Oberstufe ausgezahlt. Das war, das Schulgeld lag vor dem 1. Weltkrieg bei 130 Mark jährlich, eine beachtliche Hilfe. 1910 wurde sie ersmals verteilt. Nach der Inflation von 1923 geriet die Stiftung in Vergessenheit. Das Kapital galt verloren. Doch der Vereinsvorstitzende des Jahres 1923, Heinrich Schwing zeigte sich als listenreicher Odysseus und erinnerte sich 40 Jahre später an die Stiftung. Der Oberlahnkreis als Rechtsnachfolger überließ das auf 400 DM zusammengeschmolzene Vermögen der Wilinaburgia.                                                                                                                                                      Über kurz oder lang hätte sich, ich bin mir sicher, neben diesen Vereinen ein Ehemaligenverein gegründet. Ein unerbittlicher Katalysator beschleunigte die Sache. 

Der 1. Weltkrieg.

Damit wir seine Bedeutung für die Vereinsgründung besser beurteilen können, ist ein Blick auf das „Königliche Gymnasium zu Weilburg“ am fin de siècle nötig. Dies auch, um unsere heutigen Vorstellungen über das, was das Weilburger Gymnasium ausmacht, zu revidieren.

Die Gesamtschülerzahl des humanistischen Gymnasiums - also Latein und Griechisch als erste Fremdsprachen - überstieg nur einige Jahre vor der Jahrhundertwende die Zahl von 200. Als Heinrich Schwing, Jahrgang 1891, Ostern 1911 sein Abitur bestand, besuchten 159 Schüler die Anstalt. Der Jahresbericht zählt 142 evangelische, 11 katholische und 6 jüdische Schüler. Außer Schwing hatten nur zwei weitere Schüler Väter, die in Weilburg wohnten. Und nur diese drei hatten in der Sexta die Schule begonnen. Ob Reinhold Himmelreich aus Arborn täglich - 20 km einfache Strecke - zur Schule lief, bezweifle ich. Er wird, wie die anderen mit Elternhäusern in Frankfurt/M., Usingen, Fulda, Kassel, Wiesbaden (2X), Holzappel, Völkershausen, Halle an der Saale und Kreuznach, in Weilburg in Pension gewohnt haben. Die Hälfte aller Abiturienten besuchte erst ab der Sekunda - Klasse 10 -  die Schule. Der Jüngste in Schwings Jahrgang war 18, der Älteste fast 22. Und das war nicht nur bei Schwing so.                                                                                                                                                                                                                   Lassen wir den evangelischen Religonslehrer Gombert, den katholischen Wassmann und den Rabbiner Landau außer Acht, unterrichteten 13 Lehrer und ein Zeichenlehrer die Schüler in 9 Klassen. Schwings Stundenplan in der Oberprima (heute Q 3/Q4, davor 13) wies 7 Latein- unf 6 Griechischstunden auf, davon 2 für Homer, in denen Schwing den listenreichen Odysseus gründlich kennengelernt hat. Hinzu kamen 3 Deutsch-, 3 Französich-, 4 Mathematik-, 2 Physik- und 3 Turnstunden sowie je zwei Stunden Englisch, Hebräisch und freiwilliges Zeichnen.      Es gab ein striktes Verhaltensreglement, einen Karzer für die Schulstrafen und die auch in der Öffentlichkeit zu tragenden Schülermützen als Schulkleidung. Mancher Wilinaburge hätte sie gern als Vereinsmütze gesehen. Doch daraus wurde nichts.                                                              Man kannte sich also untereinander sowie Weilburg und seine Umgebung gut. Kein Wunder also, dass der Frankfurter Kaufmannssohn Friedrich Moessinger, zehn Jahre älter als Schwing, sich 1962 sehnsuchtsvoll an seine gerade einmal einjährige Schulzeit als Oberprimaner im verträumten Weilburg erinnerte. „Sicher ist es die recherche de la jeunesse, vielleicht auch noch immer die Nachfreude, daß man dort nach langer Schulzeit ins Leben entlassen wurde. Zwar war die Disziplin, der auch die durchschnittlich zwanzigjährigen Primaner unterworfen waren, nach heutiger Auffassung in mancher Beziehung ein wenig übertrieben, aber Weilburg hatte sein eigenes Cachet …“.                                     Diesem „Flair“ dürften wohl fast alle erlegen sein, die bis zum 1. Weltkrieg und vielleicht auch noch bis zum 2. und das Jahrzehnt danach das Gymnasium besucht hatten. Doch diese „Idylle eines Gymnasiums“, um seinen Schüler Wilhelm Heinrich Riehl zu zitieren, zerstörte der 1. Weltkrieg.

Ihn nannte George Kennan die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ und Jörn Leonhard bezeichnete ihn treffend als „Büchse der Pandora“, aus der, so Eric Hobsbawn ein „Zeitalter der Exteme“ entsprang. 

Der Ausgang des Krieges und seine unmittelbaren Folgen - Oktoberrevolution, Novemberrevolution in Deutschland, Vertrag von Versailles, Gefallene, darunter auch Väter und Brüder, Vermisste, Verstümmelte, Hunger und Armut -, müssen für die Schüler ein tiefer, nachhaltiger Schock gewesen sein. Besonders die gefallenen und verwundeten Mitschüler. Insbesondere die 140 Toten waren ja alle Schüler, die die zukünftige Funktionselite des Kaiserreiches bilden sollten und so erzogen worden waren. Das Zeugnis des „Einjährig-Freiwilligen“ in der Obersekunda als Voraussetzung für den Rang des Reserveleutnants gehörte zum Schulalltag. Und der Reserveleutnant genoss höchstes gesellschaftliches Prestige.

Ersparen möchte ich uns die Darstellung, was dieser moderne Krieg an Hekatomben von Toten, pysischen und psychischen Verwundungen und Verstümmelungen sowie an materieller Zerstörung hervorbrachte.

Allerdings fing der Krieg am Gymnasium anders an.                                                                                                                                                     Direktor Marxhausen hatte den Kriegsbeginn in seinem Jahresbericht 1914/15 so beschrieben: „… als die Ferien sich Ende Juli ihrem Ende näherten, da schwand jede Ungewissheit, Schlag auf Schlag folgte eine Kriegserklärung der andern, und Deutschland war in einen Kampf verwickelt, wie ihn Europa noch nie gesehen hatte. Unendliche Begeisterung brauste durch das ganze Land. … Bei der allgemeinen Unruhe, dem Fehlen vieler Lehrer und Schüler erschien es geboten, den Unterricht für einige Tage auszusetzen. … Ausserdem löste sich kurze Zeit nachher die Oberprima auf, denn auch unsere älteren Schüler waren von heiliger Begeisterung ergriffen und hegten nur den einen Wunsch mit hinauszuziehen.“                                                                                                                                                                                                                      Das Notabitur machte es möglich. Alle 18 Schüler bestanden es, 11 weitere Oberstufenschüler von Untersekunda bis Unterprima brachen die Schule ab und meldeten sich als Freiwillige. Im Mai 1915 folgte ihnen der Obersekundaner Eberhard Linden. Von ihm erschien posthum ein schmales Gedichtbändchen. Als seine Eltern, der Vater war Oberförster, ihm erlaubt hatten, Kriegsfreiwillger zu werden, schrieb er ihnen die Verse:

So laß mich steh’n, wo meine Brüder sanken,

Mein deutsches Vaterland, so nimm mich hin!

Laß mich, die Faust am Schwert, im Kampf Dir danken,

Daß ich Dein Sohn, daß ich ein Deutscher bin! 

Es waren primär Bildungsbürger, die begeistert waren. Das „Manifest der 93“ unterzeichneten z.B. Emil von Behring, Paul Ehrlich, Gerhard Hauptmann, Fritz Haber, Max Liebermann, Max Planck, Max Reinhardt, Wilhelm Röntgen und Ulrich von Willamowitz-Moellendorff. Der normale Untertan war da weniger euphorisch, wie man heute weiß. Die allumfassende Kriegsbegeisterung ist eine Legende.

Ernüchternd waren und bleiben die Zahlen. 140 Namen stehen auf der Gedenktafel.                                                                                                     Von den Notabiturienten 1914 fielen über 60%, 3 Schüler des Gymnasiums starben bereits im ersten Kriegsmonat. Der älteste und ranghöchste ehemalige Schüler, der 55-jährige Generalmajor Otto Nièland, mit 8 weiteren im September. Knapp die Hälfte der Gefallenen gehörte den Jahrgängen 1890 und jünger an, 32 waren jünger als 21. Eberhard Linden fiel 2 Monate nach seinem 18. Geburtstag in Frankreich, Seekadett Paul Engel versank 3 Monate nach seinem 18. mit U 77 vor Schottland.                                                                                                                           Das und das Ende des Kaiserreiches sowie die durch Versailles vollends demütigende Niederlage bedurfte unter den Überlebenden einer Kompensation, um dem offenbar sinnlos gewordenen Opfer einen Sinn zu verleihen. Die Vereinsgründung, deren Ziel es war, alle lebenden Ehemaligen zusammenzubringen und den Opfern zu gedenken, war ein naheliegender Weg. 

Doch was heute als posttraumatische Belastungsstörung, bekannt ist, suchte sich mit und neben der Vereinsgründung und der 1922 eingeweihten Gedenktafel noch andere, gängigere Wege der Verarbeitung.                                                                                                                  Einer war Alkohol. Am liebsten in Gemeinschaft genossen. Willi Heinz erinnerte sich an das Jahr 1925. „Der Eintritt in die Wilinaburgia fiel mir zunächst schwer. … Ich hatte die Beobachtung gemacht, daß einige Mitglieder des noch jungen Vereins, meist Weltkriegsteilnehmer, in den anomalen Jahren der Geldentwertung Saufgelage hielten, in bacchantischen Zeremonien spät nach Hause zogen und mehr als einmal wegen Ruhestörung mit der ansonsten duldsamen Polizei in Konflikt gerieten.“

Kurzer soziologischer Blick auf die Gegenwart

Kriegsbegeisterung und ein heroisierendes Gedenken an die Opfer sind uns spätestens nach dem Kalten Krieg fremd geworden. Lang hat es gedauert, bis - Stichwort Afghanistan - unsere Politiker den Begriff „Krieg“ verwandten. Jürgen Habermas hat in einem Beitrag zur Ukraine-Politik zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass nationalistische und heroische Einstellungen einer post-heroischen Gesellschaft fremd sind, vor allem, so Habermas, ihren jüngeren Mitgliedern, „die zur Empfindlichkeit in normativen Fragen erzogen worden sind, ihre Emotionen nicht verstecken und [nun] am lautesten ein stärkeres Engagement einfordern. Jetzt gänzlich desillusioniert, erwecken sie den Eindruck, als habe sie die völlig neue Realität des Krieges aus ihren pazifistischen Illusionen herausgerissen.“                                                                              Die brutale Logik und Realität des Krieges war und ist eine fremd gewordene Herausforderung, insbesondere für Menschen die, so Habermas, „eher postnational“ gesinnt sind und denen eine heroische Opferbereitschaft, wie sie sich in den beiden Weltkriegen und heute in der Ukraine zeigten und zeigen. 

Übrigens trennen uns nur 20 Autostunden von Kiew. Vor 11 Jahren wurden die Wehr- und Zivildienstpflicht in Deutschland ausgesetzt.

Zurück zur Geschichte

Der kurze Blick auf die Schule mag einige der eher verborgenen Hintergründe jener Lebenswelt skizziert haben, in der die Wilinaburgia trotz Hyperinflation, manchen, auch antisemitischen, Gewaltexzessen in der Repbublik - denken wir nur an die Ermordung Walther Rathenaus am 24. Juni 1922 - wuchs und gedieh. Daneben hatte kämpfte der Verein mit anderen Widrigkeiten. Ihm fehlte z.B. eine Schreibmaschine.

15 ehemalige Schüler hatten die Wilinaburgia am 12. März 1921 im Weilburger „Deutschen Haus“ gegründet. Ende 1929 gab es 615 Mitglieder, unter ihnen auch die spätere Zahnärztin Urusla Strauß, 1927 die erste Abiturientin des Gymnasiums.                                                                       Und ohne die finanzielle Unterstützung seiner Mitglieder, hätte der Verein die Hyperinflation 1923 kaum überstanden. Als der in den USA lebende Kinderarzt Leo-Wolf im Herbst 1922 einen Dollar spendete, verbuchte der Kassierer 4000 Mark. Ein Jahr später spendete er erneut einen Dollar und der Kassierer verbuchte 100.000 Mark. Was wäre, wenn unser Schatzmeister heute über ein Guthaben von 14 Milliarden Euro berichten könnte!

Mit dem aufs Engste mit Weilburg und der Region verbundenem Dr. Heinrich Schwing, der als kriegsfreiwilliger Sanitäter in den Krieg zog und ihn 1918 als Offiziersanwärter bei der Artillerie und dem EK I beendete, hatte der Verein 1922  für 48 Jahre jenen rührigen Vorsitzenden gefunden, der ihn durch die Zeitläufte hindurch zusammenhielt.                                                                                                                                          Im ersten Jahrzehnt der Vereinsgründung ging das nicht ohne den 1901 geborenen Werner Herz, der immer wieder in den Vereinsannalen auftaucht.

Doch kaum drei Jahre nach der Eintragung des Vereins beim Amtsgericht Weilburg am 24. November 1930, verliefen beider Lebenswege grundverschieden. Die nationalsozialistische Ideologie machte Herz, trotz seines evangelischen Bekenntnisses, zum „Mischling 1. Grades“. Vereinsämter und der Abschluss seiner juristischen Ausbildung waren ihm nicht mehr möglich. Als Homosexueller im Herbst 1942 in Berlin verhaftet, kam er am 21.11. ins KZ Buchenwald. 6 Tage später wurde er nach Auschwitz überführt. Dort starb er am 17. Februar 1943.          Heinrich Schwing blieb Vereinsvorsitzender und sorgte mit dafür, dass die Wilinaburgia der Parteilinie folgte. Im Dezember 1933 druckte er im Nachrichtenblatt den Aufsatz „Krisis oder Entwicklung“ von Prof. Dr. Ferdinand Hueppe ab. In ihm heißt es: „Ein gesundes Volksempfinden verlangt, …, die eigene Betätigung seiner gesunden kräftigen Jugend und des kräftigen Mannesalters in der Erkenntnis, daß beim Niedergang völkischer Eigenart und dem Herabgleiten von der Kulturhöhe die eigene Betätigung des Volkes in Körperübungen nachläßt.“                        Hueppe war übrigens nicht irgendein Professor und ehemaliger Schüler. Von 1900 bis 1904 war er der erste Vorsitzende des DFB. Im Nachrichtenblatt blieb das nicht der einzige linientreue Beitrag.

1935 ging es dann nicht mehr bloß um Gedanken. Es ging um den Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder. Der Verein forderte seine jüdischen Mitglieder auf, auszutreten. Die Mehrzahl tat es, darunter auch der 1886 geborene Rechtsanwalt Robert Katzenstein. Ihm und seiner Familie gelang 1939 noch die Emigration. Dies war nicht nur für ihn ein Glücksfall, sondern auch Ende der sechziger Jahre für die Wilinaburgia. Sie machte ihn, der sich mit seinem Herkunftsland ausgesöhnt hatte, zum Ehrenmitglied. Es war ein eleganter Schlussstrich unter die Shoah, die 5 Vereinsmitgliedern das Leben gekostet hatte.                                                                                                                                                                 4 weitere hatten sich selbst das Leben genommen. Darunter der in Berlin lebende Paul Kirchberger, der durch Vorträge in den zwanziger Jahren und seine rege Teilnahme an den Treffen der Berliner Ortsgruppe, ein Urgestein des Vereins war. Die Wilinaburgia hat die Grabpflege seiner Eltern auf dem neuen Weilburger Friedhof übernommen, Eltern übrigens, die die jüdische Religion nicht praktizierten. Ihr Sohn Paul ist als evangelischer Schüler geführt worden.

Paul Kirchberger trat nicht aus, sondern wurde als Mitglied gestrichen. Im Dezember 1935 konnte dann jeder im Nachrichtenblatt lesen, dass der Verein „judenfrei“ sei.

Der Inhalt des Nachrichtenblattes und das Verhalten des Vorstandes unterstützen eine These der neueren Forschung. Die nationalsozialistische Diktatur war eine „Zustimmungsdiktatur“.                                                                                                                                                                  Augenfällig wurde dies während des Krieges. Das Nachrichtenblatt und die drei Feldpostbriefe der Jahre 1943 und 1944 hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Kampfmoral zu stärken. Das gelang durchaus. Und dazu trug der „Kamerad Humor“, eine Publikation des Fremdenverkehrsverbandes Rhein-Main, dem Heinrich Schwing angehörte, maßgeblich bei. Er war allen Ausgaben des Nachrichtenblattes beigelegt, die per Feldpost versandt wurden.                                                                                                                                                                     Einen bezeichnenden Eindruck der polykratischen Herrschaftsstruktur des NS und dem, was eine Zustimmingsdiktatur ausmacht, liefert ein fragmentarisch erhaltener Schriftverkehr zwischen der Kreisleitung Oberlahn-Usingen der NSDAP und der Wilinaburgia. Es geht um die Veröffentlichung des 1. Feldpostbriefs im Januar 1943. Die Kreisleitung hatte keine Belegexemplare erhalten und unterstellte, der Verein halte sich weder an die amtlichen Vorgaben noch die Zensur und witterte womöglich Schlimmeres.                                                                             Heinrich Schwing als Herausgeber verwies in seiner Antwort auf die Genehmigung der Reichspressekammer und die Freigabe des Zensuroffiziers. Weiter schrieb er: „Abgesehen von den … Prüfungen und Genehmigungen ist der Herausgeber PARTEIGENOSSE, also von den politischen Notwendigkeiten unterrichtet und dafür verantwortlich, daß der Inhalt den RICHTIGEN GEIST atmet …“                                                Das half für ein Jahr und war korrekt.                                                                                                                                                                                  1944 mussten die Wilinaburgia und die anderen „Altschülervereinigungen“, so der amtliche Sprachgebrauch, ihre Zeitschriften einstellen. Der Rohstoffmangel erzwang im Glauben an den „Endsieg“ andere Prioritäten. Die Feldpostbriefe waren, anders als ein Nachkriegsmythos es wollte, kein Akt des Widerstandes.

1945 ähnelte die Zeit für den Verein der Periode von 1918 bis in seine Anfangsjahre: Gefallene, Verwundete, Vermisste, Kriegsgefangene, materielles Elend, zerstörte Strukturen, Herrschaft der Siegermächte, politischer Neuanfang.

Keinen institutionellen Neuanfang gab es im Schulwesen. Inhaltlich wurde am dreigliedrigen Schulsystem festgehalten und nach wie vor die humanistische Bildung beschworen, die den Nationalsozialismus jedoch nicht verhindert hatte.                                                                                    In Weilburg gab es allerdings kein zurück zum humanistischen Gymnasium. Die Verwandlung in eine „Oberschule für Jungen“ 1938, die jedoch auch Schülerinnen besuchten, wurde nicht rückgängig gemacht. Die Schule blieb ein Realgymnasium mit humanistischem Zweig. Und sie war 1947 auf 687 Schüler und 36 Lehrer angewachsen.

Ein zurück zur Wilinaburgia gab es schon. Heinrich Schwing entpuppte sich einmal mehr als listenreicher Odysseus und schaltete Nachkriegsdirektor Schlitt ein. Der, obwohl noch kein Wilinaburge, zeigte sich hilfsbereit und überzeugte die Amerikaner davon, dass das Nachrichtenblatt für die Ehemligen eine wichtige soziale Funktion habe. Das war in einer Zeit ohne digitale Medien in der Tat so, zumal weder Telefon noch Post zuverlässig funktionierten.                                                                                                                                                                       Die Amerikaner hielten das Blatt inhaltlich für so belanglos, dass Schwing, allen materiellen Widrigkeiten trotzend und noch vor seiner endgültigen Einstufung als Mitläufer und Wiedereinstellung in den Schuldienst, im März 1946 die Nr. 60 des Nachrichtenblattes veröffentlichen konnte. 

Sie müssen jetzt wegen der Jahreszahl 1946 - 25 Jahre Wilinaburgia liegen hinter uns, 75 noch vor uns - nicht befürchten, dass meine Rede noch dreimal so lange dauert.

Nein, der Verein setzte erfolgreich seine Arbeit fort, auch wenn der Aspekt der Geselligkeit den Stellenwert verlor, der ihr einst zukam. Aber auch die Weilburger Kirmes, an der sich der Verein, und natabene auch die Schule, regelmäßig beteiligten, gibt es ja so nicht mehr.

Bemerkenswert ist auch, dass 1970, nach dem Ausscheiden Schwings als Vorsitzendem, es seine beiden Nachfolger Heinz Kalheber von 1970 bis 2000 und Eugen Rudolf Ancke mit ihren Vorständen bis heute geschafft haben, Vereinstraditionen zu wahren und neue Entwicklungen erfolgreich aufzugreifen und zu gestalten. 

Das tut auf seine Weise auch das Philippinum. In seinem neuen Leitbild verspricht es seinen Lernenden, das fachlich und sozial zu vermitteln, was einen „gelingenden Lebensweg“ verspreche. Dabei profitiert die gesamte Schulgemeinde von der umfangreichen Förderung seitens der Wilinaburgia.

In einer Schule mit nun etwa elfhundert Lernenden gerät das schnell in Vergessenheit oder wird nur wenig beachtet. Von Friedrich Moessingers „Cachet“ ganz zu schweigen. 

Es war bis zur Studentenrevolte 1968 noch lebendig. Ulrike Meinhof, Abitur 1955, war ein treues Vereinsmitglied bis zu ihrer Metamorphose in eine Terroristin im Mai 1970. Das Philippinum und Weilburg zehrten noch von Moesingers „Cachet“. Doch Meinhofs Biographie verweist in extremer Weise auf den gesellschaftlichen Wandel am Ende der Wirtschaftswunderjahre.

Ein letztes Mal: Soziologisches

Erinnern wir uns an das Jahr 1973. 

Während der Staat in der 1. Ölkrise noch ohne Widerstand und höchstens zum Verdruss vieler Amateursportler allgemeine Sonntagsfahrverbote anordnete, ist er angesichts der gegenwärtigen Energiekrise dazu übergegengen, den Individuen mit 9-€-Fahrkarten und Benzinpreisbremsen ihre scheinbare individuelle Freiheit zu gewährleisten. Eine für mich sinnvolle allgemeine Corona-Impfpflicht ließ sich - Stichwort individuelle Freiheit - dagegen nicht durchsetzen, ebensowenig ein Tempolimit auf Autobahnen.

Der immer schon veloziferische Kapitalismus stand in den 70er Jahren am Beginn einer neuen Entwicklungsphase.  Der Soziologe Hartmut Rosa spricht dabei von einer sich immer weiter radikalisierenden Kultur der Beschleunigung. Goethe nannte sie schon 1825 „veloziferisch“ und beschrieb seine Wortschöpfung aus velocitas und Luzifer so: „So wenig nun die Dampfwagen zu dämpfen sind, so wenig ist dies auch im Gesellschaftlichen möglich: die Lebhaftigkeit des Handels, das Durchrauschen des Papiergeldes, das Anschwellen der Schulden, um Schulden zu bezahlen, das alles sind die ungeheuern Elemente, auf die gegenwärtig ein junger Mann gesetzt ist.“                                                                            Seit den 70ern schöpfte der durch zwei Weltkriege geschwächte und den Ost-West-Konflikt blockierte veloziferische Kapitalismus neue Kraft und verwandelte sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in die digitalisierte Hydra der Globalisierung.                                                                   

Auf gesellschaftlicher Ebene der westlichen Industrieländer entwickelte sich, wie der Soziologe Andreas Reckwitz sie nennt, eine „Gesellschaft der Singularitäten“, die sich aus „hybriden Subjekten“ zusammensetzt, Subjekten, die als "konsumtorisches Kreativsubjekt" sich ihre Identität aus dem überfließenden Waren- und Dienstleistungsangebot zusammenbauen.                                                                                                                                Der Entwurf des neuen „Selbstbestimmungsgesetzes“ zeigt, wie ich meine, ganz aktuell eine Facette dieser Subjektkultur.                                                                                                              Als Zentrum der Gesellschaft sieht Reckwitz die Gruppe jener Menschen, die ihren Weg ins Beurfsleben über die Sekundarstufe II fanden und finden. 49% der hessischen Schüler ab der Sekundarstufe I besuchen gegenwärtig ein Gymnasium, die altersspezifische Studienberechtigungsquote in Deutschland erreichte 2012 mit 53,5% einen Höhepunkt. Heute liegt sie immer noch bei 46,8% und hat sich im Vergleich zu 1975 mehr als verdoppelt.                                                                                                                                                                                 Das, so Reckwitz, am unternehmerischen Paradigma orientierte Individuum, ist unter der Hand zum Leitbild einer neuen Mittelklasse geworden. Seine These, ohne weiter auf sie einzugehen, ist, „dass wir in verschiedensten Bereichen der Gesellschaft eigentlich … ein Ersetzen von zentralen (allgemein geteilten) Kriterien haben, …, dass die Orientierung am Besonderen, am Einzigartigen, man könnte auch sagen Individuellen, gewissermaßen immer stärker wird und dass diese Kriterien des Allgemeinen, die in der alten Industriegesellschaft ja sehr stark waren, erodieren, zu denken ist beispielsweise an die Massenproduktion und die Krise der Volksparteien.“                                                                                                                  Der VW-Konzern z.B. bietet heute statt eines einzigen Käfers gleich 26 Grundmodelle an.                                                                                           Aber nicht nur die Volksparteien erodieren, sondern die Vereinswelt, einst ein Hort der alten Mittelklasse, unterliegt diesem Prozess. Die Lokalseiten jeder Regionalzeitung legen davon beredtes Zeugnis ab. Und z.B. die inzwischen fest etablierten Fitnessstudios, die den Sportverein ersetzen. Schließlich hätte Max Weber es heute schwer, noch einen typischen Gesangverein zu finden.                                              Bleibt also zu hoffen, dass unser einhundert Jahre alter Verein den Anschluss an die neue Zeit nicht verliert.                                                         Was heute an den Universitäten als Alumnus-Kultur aufblüht, ist der Wilinaburgia nicht neu. Es ist allerindgs ein zähes Ringen, die Bedeutung zu vermitteln, die dahinter steckt. Es geht ihr zwar auch um den Zusammenhalt unter den ehemaligen Lernenden, Lehrenden und ihrer Schule, aber nicht allein und in erster Linie. Es geht vor allem darum, die Möglichkeiten der Schule durch vielfältige Unterstützung über das vom Staat garantierte Maß zu erweitern.                        

100 Milliarden für die Bundeswehr mögen heutzutage notwendig sein. Vom Klimawandel ist mittlerweile tagtäglich die Rede.                                                                                              Ähnliches ist vom Bildungswesen nicht zu sagen. Trotz aller punktuellen Beschwörungen über seine ungeheure Wichtigkeit.

Was ist zu tun? 

Auch Reckwitz hat für die Herausforderungen der „Gesellschaft der Singularitäten“ keine fertige Antwort. Interessanterweise hofft er auf die Bildungsinstitutionen und einen in ihnen möglichen herrschaftsfreien Diskurs. Ob Schulen und Hochschulen aber emanzipiert genug sind, diesen Diskurs zu fördern?   Gehört Hessens neuestes Schulfach „Digitale Welt“ dazu, oder betreibt es unter der Hand das Geschäft von Microsoft, Apple & Co.? Und trotz „Friday for Future“ zetern die Lehrenden, weil ihnen die Lernenden die Parkplätze streitig machen.

Die Lage ist verzwickt.

Bertolt Brecht lässt seinen „Guten Menschen von Sezuan“, an den wir alle trotz allem tief in uns glauben mögen, mit einem Epilog enden.                             Brecht setzt darauf, dass wir, um die zutiefst heikle Situation zu meistern, aktiv werden sollen. Der erste Schritt ist, nachzudenken,                    

„Auf welche Weis’ dem guten Menschen man                                      

Zu einem guten Ende helfen kann.                                 

Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!                                   

Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!“

Ans Werk!

Feiern wir, als ersten, kleinen Schritt, das 100-jährige Jubiläum der Wilinaburgia, tanken dabei Kraft und vergessen nicht, dass sie auf der Suche nach dem guten Ende zweifelsohne ein verlässlicher Partner ist und bleiben wird.

 

 



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